Montreux und die Grandhotels der Belle Époque

Wo die klassische Küche ihre Bühne fand –
ein Kapitel europäischer Hotel- und Kochgeschichte

Montreux, Palace, Hotel et La Dent du Midi Poststempel 16.10.1918
Montreux, Palace, Hotel et La Dent du Midi Poststempel 16.10.1918. ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fel_002822-RE

Zwischen Genfersee und Alpen verdichtet sich in Montreux wie an kaum einem anderen Ort Europas die Geschichte der Grandhotellerie und der klassischen Küche. Im späten 19. Jahrhundert wurde die Stadt zur „Perle der Schweizer Riviera“ – ein Inbegriff jener Belle Époque, in der Reisen, Repräsentation und gehobene Gastronomie zu einem neuen gesellschaftlichen Ideal verschmolzen.

Die prachtvollen Hotels entlang der Uferpromenade entstanden als Bühnen eines luxuriösen Lebensstils: Architektur im Stil der Belle Époque, Speisesäle mit französisch inspirierten Menüs, Gesellschaftsräume für Musik und Tanz. Parallel dazu entwickelte sich eine Infrastruktur aus Eisenbahn, Zahnradbahn und Schifffahrt, die Montreux für ein internationales Publikum erschloss.

Warum gerade Montreux

Montreux profitierte früh von der Eisenbahnverbindung (ab 1861) und der milden Uferlage am Genfersee. Die klimatischen Bedingungen – Palmen, Weinbau, Alpenblick – machten den Ort zu einem frühen Ziel des europäischen Winter- und Kur-Reisens. Wohlhabende Gäste aus England, Russland und Frankreich suchten hier zwischen 1880 und 1910 den verlängerten Sommer, Heilklima und gesellschaftliche Kontakte.

Diese Gästestruktur führte dazu, dass Montreux zur Experimentierfläche einer neuen Gastkultur wurde: internationale Grandhotels, Küchen mit französischem Einfluss, Service à la française, mehrgängige Menüs und stilisierte Präsentation.

Im gleichen Zeitraum formte Auguste Escoffier in London und Paris die Grundlagen der modernen Hotelküche – das Brigadesystem, die Saucen-Hierarchie, die Menüfolge. Seine Konzepte prägten die europäische Grandhotellerie und fanden auch in der Schweiz Resonanz. Ein direkter Beleg für den kulinarischen Rang der Region ist der französische Koch Jean-Baptiste Reboul (1862-1926), der in seinen frühen Jahren in Hotels in Montreux arbeitete, bevor er 1884 nach Marseille ging.

Montreux, Hotel Palace, Köche
Montreux, Hotel Palace, Köche. 1914-1917.
ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz / LBS_L1-726424

 

Fairmont Le Montreux Palace

Das Montreux Palace wurde 1906 eröffnet – das ambitionierteste Hotelprojekt seiner Zeit. Die Montreuxer Hoteliers Alexandre Emery und Ami Chessex beauftragten den Architekten Eugène Jost, der den Bau in nur 18 Monaten fertigstellte. Das Haus verband technische Innovation mit repräsentativer Architektur: elektrische Beleuchtung, Heizung, Warm- und Kaltwasser in allen Zimmern – eine Selbstverständlichkeit erst Jahrzehnte später.
Während des Ersten Weltkriegs diente das Haus als Lazarett; 1936 wurde hier die „Konvention von Montreux“ unterzeichnet – ein internationaler Vertrag zur Regelung der Meerengen des Bosporus und der Dardanellen. In den 1920er-Jahren prägten Bälle, Konzerte und Empfänge das gesellschaftliche Leben an der Riviera.

Kulinarisch folgte das Montreux Palace dem Vorbild der großen Ritz-Häuser jener Zeit: klassische französische Küche, Menüfolge in mehreren Gängen, Patisserie und Service à la française. Bis heute pflegt das Haus diese Verbindung von Architektur und Gastronomie; es gilt als Kulturgut von nationaler Bedeutung. Seit 1999 ist es Teil der kanadischen Gruppe Fairmont Hotels & Resorts, die das historische Erbe des Hauses international fortführt.

Dokumentierte Eckdaten:
– Eröffnung 1906
– Architekt Eugène Jost
– Stil Belle Époque / Neobarock
– Ereignisse : Lazarett 1914–18 / Konvention 1936
– Klassifizierung : Kulturgut von nationaler Bedeutung

Hôtel Eden Palace au Lac

Das Eden Palace au Lac wurde im Oktober 1896 eröffnet und steht beispielhaft für den Typus des Riviera-Grandhotels. Die Fassade mit Mansarddach und Balkonen spiegelt die französisch inspirierte Eleganz der Belle Époque. Gäste reisten aus England, Russland und Frankreich; viele blieben ganze Saisons.

Bekannte Namen im Gästebuch reichen von Charles Aznavour bis Kofi Annan. 1971 blickten Musiker von Deep Purple aus dem Eden Palace auf den Brand des Montreuxer Casinos – ein Ereignis, das später in „Smoke on the Water“ verewigt wurde.

Die Küche des Hauses orientierte sich an den großen französischen Hotels – Menüs mit lokalen Bezügen, Fisch aus dem Genfersee und Weinen aus dem Waadtland. Die Terrasse am Ufer war Teil dieses Erlebnisses; die heutige Brasserie „Chez Gaston“ führt die Tradition fort.

Dokumentierte Eckdaten:
– Eröffnung 1896
– Stil Belle Époque / Spätviktorianisch
– Klassifizierung Kulturgut von regionaler Bedeutung
– Historische Gäste Charles Aznavour, Kofi Annan u. a.

Hôtel du Righi Vaudois, chalet de 1854 et nouvel édifice de 1866, Neuchâtel 1877, ill. par Gustave Doré – Bibliothèque de Lausanne, Public Domain Mark 1.0
Hôtel du Righi Vaudois, chalet de 1854 et nouvel édifice de 1866
ill. par Gustave Doré – Bibliothèque de Lausanne, Public Domain Mark 1.0

Hôtel du Righi Vaudois (Glion)

Oberhalb von Montreux in Glion liegt das Hôtel du Righi Vaudois, eines der ältesten Häuser der Region. Errichtet 1854 als Chalet des Genfer Bankiers Jacques Mirabaud, wurde es 1866 um einen zweiten Bau ergänzt und 1875 erstmals zum Hotel erweitert. Der heutige Bauzustand geht auf den Umbau von 1895 durch den Architekten Louis Maillard zurück: Das Haus wurde um ein Stockwerk erhöht, erhielt ein Mansarddach mit Lukarnen, neue Veranden, Balkone und eine Speisesaal-Annexe.

Mit der Eröffnung der Zahnradbahn Territet–Glion im Jahr 1883 wurde das Righi Vaudois zu einem bevorzugten Sommer- und Luftkurort für das englische Publikum. Die Architektur markiert den Übergang vom Chaletstil zur Grandhotel-Architektur der Belle Époque – mit Elementen lokaler Holzornamentik und großzügigen Freiterrassen.

Das Hotel verfügte über mehrere Salons, ein Badehaus und sogar eine eigene Telegrafenleitung – für die Zeit ein außergewöhnlicher Komfort. In den 1890er-Jahren zählte es zu den renommiertesten Häusern der Riviera. Zu den Gästen gehörten unter anderem Königin Emma der Niederlande, der Prinz von Anhalt-Dessau, die Familie von Oscar Wilde während des Prozesses des Schriftstellers, sowie Teilnehmer einer Friedenskonferenz zu Zypern.

Die Lage war namensgebend: Der Blick auf den Genfersee erinnerte an den Rigi über dem Vierwaldstättersee – ein bewusster Verweis auf die Konkurrenz zwischen Montreux und Luzern, die beide um dieselbe touristische Klientel warben. Die österreichische Kaiserin Elisabeth („Sisi“) von Österreich soll zwischen 1893 und 1898 mehrfach den steilen Pfad von Montreux nach Glion als Trainingsstrecke genutzt haben.

Heute steht das Hôtel du Righi Vaudois leer – eines der letzten weitgehend erhaltenen Zeugnisse der frühen Grandhotellerie der Westschweiz.

Dokumentierte Eckdaten:
– 1854: Bau des Chalets durch Jacques Mirabaud
– 1866: Erweiterung um zweiten Baukörper
– 1883: Anschluss an die Zahnradbahn Territet–Glion
– 1895: Umbau durch Architekt Louis Maillard (Mansarddach, Veranden, Speisesaal)
– Stil: Chalet / frühe Belle Époque
– Bedeutende Gäste: Königin Emma der Niederlande, Familie Oscar Wilde, Sisi, Prinz von Anhalt-Dessau
– Status: geschlossen seit 1998

Quellen:
notrehistoire.ch – Hôtel du Righi Vaudois, Glion
Journal 24 Heures, Ausgabe vom 8./9. Mai 2013
mymontreux.ch – Hôtel du Righi Vaudois, chalet de 1854 et nouvel édifice de 1866
Bibliothèque de Lausanne – Illustration von Gustave Doré, 1877 (Public Domain Mark)

La Coupole – Le Petit Palais

La Coupole gehört zum Komplex des Le Petit Palais und war ursprünglich als „Pavillon des sports“ Teil des Montreux Palace. Der Bau entstand 1911 nach Plänen des Hotelarchitekten Eugène Jost, der bereits das Palace selbst entworfen hatte.

Der Pavillon diente der Unterhaltung der Hotelgäste: Er verfügte über eine Rollschuhbahn, vier Kegelbahnen, einen Schießstand und einen großen Tea Room auf Straßenniveau. Damit stand er exemplarisch für die Freizeitkultur der gehobenen Gesellschaft jener Zeit – ein Ort zwischen mondäner Eleganz und sportlicher Geselligkeit.

In den 1920er- und 1930er-Jahren wurde das Gebäude zu einem Veranstaltungs- und Tanzhaus umgestaltet, bekannt als La Coupole. Seine halbrunde Glasfassade, geometrischen Linien und moderne Typografie spiegelten den Übergang von der ornamentalen Belle Époque zum Art Déco.

Musikalisch wurde der Ort von den Zwillingsbrüdern Émile und William Maléra geprägt, die mit ihrem Orchester über Jahre die gesellschaftlichen Abende Montreux’ bestimmten – bis zur Verbreitung des Jazzbands, der eine neue Ära der Unterhaltungskultur einleitete.

Später wurden Räume des Gebäudes in die Musikgeschichte von Montreux eingebunden – als frühe Spielstätte, lange bevor das berühmte Jazz Festival entstand.

Dokumentierte Eckdaten:
– Baujahr 1911 als Pavillon des sports (Architekt: Eugène Jost)
– Umgestaltung zu La Coupole um 1930
– Stil: Übergang Belle Époque / Art Déco
– Nutzung: Sportpavillon, Tanz- und Veranstaltungshaus, später Teil der Musikszene von Montreux

Quellen:
notrehistoire.ch – La Coupole / Pavillon des sports du Montreux Palace, Dokument René Briol
mymontreux.ch – Le Petit Palais / La Coupole, Montreux

Die Brüder Maléra und die Musik von Montreux

Die Zwillingsbrüder Émile und William Maléra gehörten zu den bekanntesten Musikern der Westschweiz in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Sie leiteten ab etwa 1910 das Orchestre Maléra, ein Salonorchester, das in den Hotels der Riviera Vaudoise spielte – vor allem im Pavillon des Sports des Montreux Palace, der später als La Coupole bekannt wurde.

Das Orchester galt als feste Größe der Gesellschaftsabende: Walzer, Polkas, Tangos und leichte Klassik bildeten das Repertoire, häufig mit Gesangseinlagen. Zeitzeugen beschreiben die Abende als mondäne Treffpunkte der Montreuxer Sommergesellschaft – eine Mischung aus Tanz, Konzert und gesellschaftlicher Repräsentation.

Bis in die 1920er-Jahre hinein prägten die Brüder Maléra mit ihrem Ensemble das musikalische Leben der Stadt. Erst mit dem Aufkommen der Jazzbands und der neuen Tanzmusik nach dem Ersten Weltkrieg endete ihre Vorrangstellung. Die Form der musikalischen Unterhaltung, die sie etablierten, bereitete jedoch den Boden für das, was später in Montreux weltbekannt werden sollte: die Verbindung von Hotelkultur und Live-Musik – lange vor der Gründung des Montreux Jazz Festivals (1967).

In der Erinnerungskultur der Stadt gelten Émile und William Maléra heute als Vorgänger einer musikalischen Tradition, die Montreux ihren besonderen Charakter verlieh – von den Salons der Belle Époque bis zu den Bühnen des 20. Jahrhunderts.

Quellen:
notrehistoire.ch – Les frères Maléra, orchestre du Pavillon des sports, Montreux
24 Heures (Archives régionales), Artikelreihe „Montreux, la musique avant le jazz“, 2012

Montreux 1920 1930-ETH-Bibliothek Zuerich
Montreux 1920-1930
ETH-Bibliothek Zuerich

Architektur- und Kulinarikgeschichte

Die Belle Époque (ca. 1870–1914) gilt als Epoche des relativen Friedens, technischen Fortschritts und bürgerlichen Optimismus in Europa. In dieser Zeit entstanden Eisenbahnverbindungen, Luxuszüge und Seeverkehr, die den Aufstieg der Grandhotellerie ermöglichten. Architektur und Hotellerie zeichneten sich durch Repräsentation, Licht und Komfort aus – Ausdruck eines neuen, urbanen Lebensstils.

In der Gastronomie dieser Ära wurden Menüstrukturen, Serviceformen und Küchenorganisationen entwickelt, wie sie Auguste Escoffier in London und Paris prägte. Seine Systematik des Brigadesystems und die Form des „Service à la russe“ beeinflussten die gesamte europäische Hotelküche – auch in der Schweiz.

Das Art Déco der 1920er- und 1930er-Jahre entwickelte sich aus diesem Erbe: luxuriös, aber technisch, mit klaren Linien und Materialien wie Chrom und Glas. In Montreux zeigte sich dieser Wandel in den Vergnügungsbauten der Zwischenkriegszeit – etwa in La Coupole, wo die verspielte Ornamentik der Belle Époque moderner Geometrie wich.

Kulinarisch markierten diese Jahrzehnte den Übergang vom formellen Grand Dîner zur modernisierten Hotelgastronomie. In den Küchen der Riviera verband sich französische Technik mit regionalen Produkten – Seefisch, Gemüse, Weinen aus dem Lavaux. Über die Saisonküchen und Wanderköche jener Zeit war Montreux eng mit Genf, Lausanne, Paris und Marseille vernetzt. Auch Köche wie Jean-Baptiste Reboul, die zwischen diesen Orten arbeiteten, trugen zur Verbreitung der klassischen französischen Küche bei.

Kulturelle Parallelen – Der Zauberberg

Die Gesellschaft, die in Montreux ihre Speisesäle und Salons pflegte, findet ihr literarisches Gegenstück in Thomas Manns Zauberberg (1924). Der Roman spielt in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg und beschreibt die Welt der Grandhotels und Kurhäuser, in der Tagesrhythmen, Menüfolgen und gesellschaftliche Rituale eine eigene Ordnung bildeten. Manns Davos und das Montreux der Belle Époque teilen denselben Geist – eine kosmopolitische Gesellschaft im Aufschub, in der Küche, Architektur und Geselligkeit untrennbar miteinander verbunden waren.

Weitere historische Hotels der Montreux-Riviera

(Auswahl aus der Blütezeit zwischen 1850 und 1930)

  • Grand Hôtel de Territet (1888) – berühmte Gäste u. a. Leo Tolstoi, Kaiserin Elisabeth von Österreich

  • Hôtel des Alpes – Grand Hôtel (Territet, 1855) – frühes Kurhotel mit Thermalangebot

  • Hôtel de Caux / Caux Palace (1902) – Architekt Eugène Jost, eines der größten Berghotels Europas

  • Hôtel National Montreux (1874) – später Annex des Montreux Palace

  • Hôtel du Parc Montreux (ca. 1890) – Riviera-Haus mit Gärten und Wintergästen aus Russland

  • Hôtel de Glion (1892) – heute Glion Institute of Higher Education

Montreux steht exemplarisch für die europäische Verbindung von Gastlichkeit, Architektur und Kulinarik.

Die Grandhotels waren mehr als Unterkünfte – sie waren soziale Bühnen, Orte der Repräsentation und kulinarische Laboratorien. Wer heute durch Montreux geht, erkennt in den Fassaden die Spuren einer Epoche, in der klassische Küche und Grandhotellerie noch dieselbe Sprache sprachen.

Kulinarisches Erbe als Foto-Kunst

Culinary Timepieces knüpft an die kulinarische Kultur der Grandhotellerie an.
Jedes Motiv greift Gerichte, Saucen und Präsentationsformen der klassischen Küche auf – inspiriert von historischen Menüs und Dokumenten. So entstehen fotografische Stillleben, die Geschichte und Gegenwart der europäischen Kochkunst verbinden.

Alle Motive sind als streng limitierte Fine-Art-Prints erhältlich, gekocht von Spitzenköchen.

culinary timepieces by Annette Sandner: Makrele à la maître d'hôtel. Friedrich Hampel, Wien. 1897. Dish: Sascha Kemmerer

Makrele à la maître d’hôtel. 1897

Tournedos Henri IV. 1937

Sauce (à la) béarnaise. 1918

Fromages. 1933

Culinary timepieces Motive von Spitzenköchen

Sascha Kemmerer, Ifen Hotel Kleinwalsertal, Kilian Stuba - Culinary Timepieces

Sascha Kemmerer (Ifen Hotel Kleinwalsertal)

Roland Gorgosilich (Hotel Kronenschlösschen)

Franz-Josef Unterlechner (Schwarzreiter, Hotel Vier Jahreszeiten)